Welche Rolle spielen „Soziale Medien“ bei der Vermittlung von ernährungsbezogenem Wissen – und welche Gefahren bergen sie im Hinblick auf Fehl- bzw. Desinformation?

Welche Rolle spielen „Soziale Medien“ bei der Vermittlung von ernährungsbezogenem Wissen – und welche Gefahren bergen sie im Hinblick auf Fehl- bzw. Desinformation?
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Jeden Tag treffen Menschen, bewusst oder unbewusst, mehrere Entscheidungen im Zusammenhang mit ihrer Ernährung. Diese basieren auf individuellen Essgewohnheiten sowie auf dem vorhandenen Wissen über Ernährung. 

Das vorhandene Wissen setzt sich aus Informationen zusammen, die in unterschiedlichen Kontexten kommunikativ (verbal und non-verbal) übermittelt wurden. Zentrale Rolle spielen dabei die analoge oder digitale Peer-Group, die Familie, die Schule oder die Medien. [1] Bei der derzeitigen Informationsflut stoßen die Konsument*innen auf eine Vielzahl an widersprüchlichen Informationen. Besonders auf Social Media kursieren zahlreiche Fehl- und Desinformationen rund um Ernährung und Gesundheit. Diese führen nicht nur zu Verunsicherungen, sondern gefährden auch die öffentliche Gesundheit und können chronische Krankheiten fördern. [2, 3]

Dabei ist es wichtig zwischen Fehlinformationen und Desinformationen zu unterscheiden. Erstere sind ungenaue oder unvollständige Informationen. Sie beruhen auf Nachlässigkeit, unbewusster Voreingenommenheit oder ehrlichen Fehlern. Desinformationen hingegen sind absichtlich verbreitete Falschinformationen. [2]  

Ein Blick in die „Nationale Verzehrsstudie II“ [4] zeigt, dass 2008 noch Printmedien als die wichtigste Quelle für ernährungsbezogene Informationen angegeben wurde. Heute hat sich das Bild deutlich verändert. Vor allem junge Erwachsene im Alter von 18 bis 24 Jahren nutzen bevorzugt Social Media-Plattformen wie YouTube, Instagram oder TikTok zur Informationsbeschaffung. [1] Besonders TikTok gewinnt bei den unter 20-jährigen zunehmend an Bedeutung. [5]

Gesundheit und Ernährung zählen zu den beliebtesten Themen auf Social Media. Studien aus Österreich und Deutschland zeigen, dass sich Nutzer*innen im Alter von 15-59 Jahren auf diesen Plattformen primär zu Ernährung, Fitness und Sport, sowie Beauty informieren. [6]

Was sind Social Media?

Social Media, auch Soziale Medien oder Soziale Netzwerke genannt, fasst alle Angebote und Kanäle zusammen, welche digital und internetbasiert von den Nutzer*innen zur Kommunikation und zum Informationsaustausch genutzt werden können. Im Gegensatz zu klassischen Massenmedien wie Fernsehen, Radio oder Print ermöglichen Soziale Medien eine bidirektionale, echtzeitbasierte Kommunikation. Inhalte können schnell geteilt, kommentiert und verbreitet werden. [7]  

Die Bandbreite der Plattformen und Kommunikationsformen ist groß. Voorveld et al. (2018) unterscheidet vier zentrale Kategorien: Beziehungen, Self-Media, Kollaboration und Kreatives Ventil [8]. Zu letzterem zählen YouTube, Instagram oder Pinterest, dessen Basis die geteilten Interessen und Kreativität der Nutzer*innen bildet. [6] 

Social Media Plattformen fungieren, ebenso wie Suchmaschinen, als sogenannte Medienintermediäre. [9] Das bedeutet, dass sie zwischen den Inhaltproduzierenden und Konsumierenden vermitteln, wobei algorithmisch ausgewählte Inhalte basierend auf Nutzerdaten selektiert, aggregiert und präsentiert werden. Plattformen wie Google, Instagram, Facebook, X (ehemals Twitter) und TikTok haben so erheblichen Einfluss auf die Meinungsbildung und individuelle Entscheidungen. [1, 10]  

Anders als bei Suchmaschinen mit gezielter Suche erfolgt die Informationsaufnahme bei Sozialen Medien sowohl aktiv als auch passiv, wie etwa das Scrollen durch den Feed. Dies verändert fundamental, wie wir Informationen aufnehmen und bewerten. [1] Besonders Soziale Medien bieten für die breite Bevölkerung einen niederschwelligen Zugang zu Informationen und besonders der Austausch und die Diskussion untereinander ist für viele ansprechend. [11] 

Essstörungen, Körperideale und Social Media: Risiken für junge Menschen

Besonders relevant wird der Einfluss von Social Media, wenn es um Themen wie Ernährung, Gesundheit oder Fitness geht. Hier treffen persönliche Interessen, emotionale Inhalte und algorithmisch verstärkte Trends aufeinander.

 

Das wachsende Interesse vieler Menschen an Gesundheit, Fitness und Ernährung, sowie das Engagement vieler Gesundheits-Influencer*innen, die ihre Follower*innen motivieren möchten, ist grundsätzlich positiv zu bewerten. Die Demokratisierung von Gesundheitsinformationen macht Wissen heute zugänglicher denn je und ermöglicht es, in kürzester Zeit ein breites Publikum zu erreichen. [11]  

Gerade im Bereich Ernährung teilen viele Nutzer*innen ihre persönliche Erfahrung und Meinungen, doch nicht alle verfügen über eine fachliche Qualifikation. Die Spannweite reicht von ausgebildeten Ernährungsexpert*innen über selbst ernannte Fachleute bis hin zu Laien. Diese Vermischung von professionellen und unqualifizierten Stimmen birgt die Gefahr, dass sich Fehl– und Desinformation rasant verbreiten. [12]  

Die Folge: Eine Informationsflut, die die Nutzer*innen verunsichert und zu falschen Entscheidungen führen kann. Die Notwendigkeit für mehr Qualitätskontrolle und kritischer Medienkompetenz auf Social Media wird dadurch immer dringlicher. [9] 

Ein weiteres Risiko liegt in den kommerziellen Interessen vieler Influencer*innen. Problematisch wird es vor allem, wenn die Inhalte emotional aufgeladen sind oder gezielt durch Influencer-Marketing verbreitet werden. Laut Prof. Dr. Raffael Heiss (MCI-Innsbruck) sind 41 Prozent aller Posts zum Thema Gesundheit mit Werbeinhalten versehen [13]. Trotz gesetzlicher Kennzeichnungspflicht stellte die EU-Kommission 2024 fest, dass nur 20 Prozent der Influencer*innen ihre Inhalte korrekt als Werbung kennzeichneten. [14] Das untergräbt das Vertrauen in vermeintlich objektive Informationen und erhöht das Risiko, dass gesundheitsgefährdende Produkte beworben werden. 

Besonders junge Menschen sind anfällig für die angepriesenen Produkte oder Botschaften der Influencer*innen denen sie folgen. Fachleute sprechen von parasozialen Beziehungen, wenn zwischen Influencer*innen und Follower*innen eine einseitige emotionale Bindung aufgebaut wird. Durch ihr authentisches Auftreten werden sie als vertrauenswürdige Informationsquelle wahrgenommen. Viele nehmen die Personen als ihre Freunde wahr und stellen sie auf die Ebene der eigenen Peer-Group. Werbung von ihnen wird nicht als diese wahrgenommen, sondern als eine persönliche Empfehlung zwischen Freund*innen. [1] 

Aktuelle Zahlen zeigen, dass in Deutschland doppelt so viele Mädchen aufgrund einer Essstörung in stationärem Aufenthalt sind, wie vor 20 Jahren. Auch wenn Social Media nicht die alleinige Ursache ist, kann es solche Entwicklungen durch gewisse Trends wie z. B. #SkinnyTok verstärken. Unter dem HashtagSkinnyTok wurden besonders schlanke Körper idealisiert und bedenkliche Abnehm-Tipps verbreitet. Seit Juni dieses Jahres wurde der Hashtag auf politischen Nachdruck der EU-Staaten verboten. [15, 16]  

Bei männlich gelesenen Personen bleiben die Essstörungen oft unerkannt, da es mehr um den muskulösen Körper geht. Besonders Trends wie High Protein, die in der FitnessCommunity sehr beliebt sind, fördern problematische Verhaltensweisen, die als gesund vermarktet werden.  

Die „Super-Spreader“

Die Rooted Research Collective und die Freedom Food Alliance identifizierten 53 sogenannte „Super-Spreader. Sie erreichen bis zu 24 Millionen Follower*innen über ihre Accounts. Diese Influencer*innen lassen sich in drei Typen unterteilen. Der Gesundheitscoach oder auch der „Doc“ nutzt echte oder erfundene medizinische Titel, um Aussagen zu legitimieren. Die Narrative des Rebells“ richtet sich gegen das System, nutzt Verschwörungstheorien und polarisiert gezielt. Der „Hustler“ macht falsche Gesundheitsversprechen, um mit überzeugendem Marketing, Produkte zu verkaufen. [17] 

Die Super Spreader bedienen sich effektiven rhetorischen Mitteln wie der Angstrhetorik, Dramatisierung oder emotionalem Storytelling. Besonders häufig richten sich Angstrhetoriker*innen gegen pflanzenbasierte Ernährung oder Saaten-Öle, während Fleisch-basierte Diäten als die wahre Ernährungsweise propagiert werden. Storytelling wiederum funktioniert subtil: Informationen werden unauffällig in Alltagserzählungen eingebettet und lassen sich schwieriger identifizieren. Einige setzen auf positive Emotionen wie Hoffnung, Motivation und Inspiration. Mit „Vorher-NachherBildern, Wellness-Tipps und Rezepte rund um Diäten wecken sie bei den Follower*innen das Gefühl selbst Kontrolle und Veränderung erreichen zu können. [17] 

Maßnahmen für einen kompetenten Umgang mit Ernährungsthemen in Sozialen Medien

Besonders Soziale Medien spielen für die jüngere Generation eine immer größere Rolle bei der Informationsbeschaffung für Themen wie Ernährung, Gesundheit und Lifestyle. Um sich im „Informationsdschungel“ zurecht zu finden, die Fehl- oder Desinformationen zu identifizieren und richtige Ernährungsentscheidungen treffen zu können, ist es wichtig die Kompetenzen der Konsument*innen zu stärken.   

Genau hier schlägt das „Rooted Research Collective“ zentrale Maßnahmen vor [17]:  

  1. Die Ernährungsbildung in Schulen fördern und stärker verankern, um fundierte Ernährungsentscheidungen treffen zu können. Sowie die Vermittlung von praktischen Fähigkeiten wie gesundes Kochen mit kleinem Budget.
  2. Die digitale Kompetenz und das kritische Denken fördern: Quellen hinterfragen und Manipulationstechniken erkennen können, „immunisieren“ gegen die emotionale Anziehungskraft von Fehlinformationen.
  3. Qualifizierte Fachkräfte aktiv unterstützen bei der Nutzung der Social Media-Plattformen, um emotional ansprechende Inhalte erstellen zu können oder direkt auf Fehlinformationen reagieren zu können.
  4. Das Vertrauen in Institutionen und in das Gesundheitssystem wieder herstellen: Klare Leitlinien zum ethischen Verhalten, strengere Kontrollen irreführender oder kommerzieller Behauptungen, öffentliche Gesundheitsbotschaften neu denken und gezielt Soziale Medien nutzen, um verlässliche Informationen zu verbreiten.

Seriöse und unseriöse Informationen erkennen

Diese Entwicklung erfordert eine neue Form der Medienkompetenz. Dazu gehört die Fähigkeit, seriöse von unseriösen Quellen zu unterscheiden, kommerzielle Interessen zu erkennen und Gesundheitsinformationen kritisch zu hinterfragen. [18]  

Reflexionsfragen die helfen können [19, 18]: 

  • Wer steht hinter den Informationen?  
  • Werden Quellen angegeben? 
  • Wird etwas verkauft oder beworben?  
  • Wie aktuell ist die Information? 
  • Wird die Information neutral formuliert? 
  • Gibt es eine alarmierende/reißerische Überschrift 
  • Handelt es sich um persönliche Erfahrung oder fundiertes Wissen? 
  • Wird etwas verallgemeinert oder stark vereinfacht dargestellt? 
  • Welche Absichten werden mit den Informationen verfolgt? 

Verlassen Sie sich niemals ausschließlich auf eine einzelne Quelle, sondern vergleichen Sie verschiedene Perspektiven und prüfen Sie die Glaubwürdigkeit der Inhalte sorgfältig. Die Stiftung Gesundheitswissen listet beispielsweise vertrauenswürdige Quellen zu Ernährungsthemen auf. [20] 

 

Die Recherche im Internet kann eine individuelle Ernährungsberatung nicht ersetzen und es ist ratsam, sich professionellen Rat bei qualifizierten Fachkräften aus dem Gesundheitswesen, wie zertifizierten Ernährungsberater*innen und -therapeut*innen, einzuholen.  

Literatur:

  1. Leismann K., Godemann J. (12.02.2025), Ernährungsbezogenes Informationsverhalten in sozialen Medien, Zuletzt aufgerufen am: 17.09.25 
  2. Diekman C., Ryan C.D., Oliver T.L (2023), Misinformation and Disinformation in Food Science and Nutrition: Impact on Practice. J Nutr. 2023 Jan; 153 (1): 3-9. doi: 10.1016/j.tjnut.2022.10.001. Zuletzt aufgerufen am: 17.09.25 
  3. Godemann, J., Bartelmeß, T. (2021). Das Forschungsfeld der gesellschaftlichen Ernährungskommunikation. In: Godemann, J., Bartelmeß, T. (eds) Ernährungskommunikation, Springer VS, Wiesbaden, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27314-9_8, Zuletzt aufgerufen am:  Zuletzt aufgerufen am: 17.09.25 
  4. NVSII: Max Rubner-Institut: https://www.mri.bund.de/de/institute/ernaehrungsverhalten/forschungsprojekte/nvsii/,  Zuletzt aufgerufen am: 12.08.2025  
  5. Granow, V. C., & Scolari, J. (2022), TikTok – Nutzung und Potenziale der Kurzvideo-Plattform. Media Perspektiven, 4, 166–176 Zuletzt aufgerufen am: 17.09.25 
  6. Eva-Maria Endres Soziale Medien in der Ernährungskommunikation Relevanz und Potenziale (2021), https://edoc.ku.de/id/eprint/28506/1/Endres_Soziale_Medien_Erna%CC%88hrungskommunikation.pdf, zuletzt geöffnet am: 23.09.2025 
  7. https://www.gabler-banklexikon.de/definition/social-media-70605, Zuletzt aufgerufen am: 17.09.2025  
  8. Voorveld, H. A. M., van Noort, G., Muntinga, D. G., & Bronner, F. (2018). Engagement with Social Media and Social Media Advertising: The Differentiating Role of Platform Type. Journal of Advertising, 47(1), 38–54. https://doi.org/10.1080/00913367.2017.1405754, Zuletzt aufgerufen am: 17.09.2025 
  9. Intermediäre – Landesanstalt für Medien NRW, https://www.medienanstalt-nrw.de/intermediaere.html  Zuletzt aufgerufen am: 17.09.2025 
  10. Disinformation about diet and nutrition on social networks: a review of the literature; Sergio Segado-Fernández, Beatriz Jiménez-Gómez et. al. 26.01.2025, Zuletzt aufgerufen am: 14.08.25 
  11. Eva-Maria Endres (2018) Ernährung in Sozialen Medien: Inszenierung, Demokratisierung, Trivialisierung, Springer VS, https://doi.org/10.1007/978-3-658-21988-8  
  12. Connie Diekman, Camille D. Ryan, Tracy L. Oliver (2023), Misinformation and Disinformation in Food Science and Nutrition: Impact on Practice, Zuletzt aufgerufen am: 17.09.2025 
  13. https://www.mci.edu/de/faculty/raffael.heiss, Zuletzt aufgerufen am:  17.09.2025 
  14. Screening von Kommission/Verbraucherschutzbehörden: Influencer kennzeichnen selten Werbung – Europäische Kommission, Zuletzt aufgerufen am: 17.09.2025 
  15. https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/skinnytok-magersucht-100.html, Zuletzt aufgerufen am: 17.09.25  
  16. https://www.ernaehrungs-umschau.de/news/14-07-2025-tiktok-verbietet-den-hashtag-skinnytok/, Zuletzt aufgerufen am: 17.09.25  
  17. RRC Misinformation Reporthttps://rootedresearch.co/wp-content/uploads/2025/05/Nutrition-misinformation-in-the-digital-age-Report.pdf, Zuletzt aufgerufen am: 17.09.2025  
  18. https://www.bzfe.de/presse/pressemeldungen-archiv/ernaehrungstipps-auf-instagram, zuletzt geöffnet am: 23.09.2025  
  19. https://www.mobile-university.de/blog/fake-nutrition-news/, Zuletzt aufgerufen am: 16.09.2025 
  20. https://www.stiftung-gesundheitswissen.de/gesunde-ernaehrung/gesunde-ernaehrung-welchen-informationen-kann-ich-vertrauen, Zuletzt aufgerufen am: 16.09.2025  
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Verfasser*in: C. Julia Bünning

C. Julia Bünning absolvierte 2024 ihr Studium Ernährungswissenschaften (B.Sc.) an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena. Nach dem diesjährigen Praktikum beim VDOE geht es zum Wintersemester an die JLU Gießen für den Master Nachhaltige Ernährungswirtschaft.