Essen wirkt! Vier Säulen für die Ernährungsberatung und -therapie

Essen wirkt! Vier Säulen für die Ernährungsberatung und -therapie

Für uns Ernährungsfachkräfte besteht kein Zweifel daran, dass Essen wirkt. Doch unser Wissen muss im Rahmen von Ernährungsberatung und -therapie vor allem den Ratsuchenden dienen, wobei die Ernährungsberatung und -therapie auf vier Säulen aufgebaut werden kann.

Vier Säulen

Die Ernährungsberatung und -therapie ist durchweg persönlich, denn Menschen kommen mit sehr unterschiedlichen Vorerfahrungen (Ess- und Ernährungshistorien), Vorerkrankungen und Vorwissen zu uns. Um diese zu adressieren, ist mehr als eine gute Gesprächsführung notwendig. Um die Ernährungsberatung und -therapie zu personalisieren, ist es sinnvoll, die Wissenschaft mit dem Kochtopf zu verbinden. Mit anderen Worten: Aktuelles Wissen von Fachgesellschaften, aus Leitlinien oder (Original-)Literatur ist so von uns aufzuarbeiten, dass dieses für die Ratsuchenden nicht nur verständlich, sondern auch im Alltag umsetzbar und mit allen Sinnen erlebbar wird.

 

Die vier Säulen der Ernährungsberatung und -therapie, die im Folgenden beschrieben werden, basieren auf der Berücksichtigung von Lebensqualität, Essprotokoll, Blutwerten und Ergebnissen der BIA-Messung. Sie helfen uns, die Ziele der Ratsuchenden zu erreichen und die daraus gewonnenen Informationen auch systematisch im Beratungs- oder Therapieprozess sowie im Rahmen des Nutrition Care Process einzubauen.

Lebensqualität

Die Interventionen innerhalb der Ernährungsberatung und -therapie wirken manchmal bereits kurzfristig, beispielsweise im Bereich von Nahrungsmittelunverträglichkeiten oder Allergologie. In vielen anderen Bereichen wie der Adipositastherapie, der Behandlung zahlreicher entzündungsassoziierter Erkrankungen oder der Prävention und Therapie der Sarkopenie brauchen sie jedoch Zeit. Um die dafür notwendige Adhärenz an Ernährungsempfehlungen zu erreichen, müssen die dafür erforderlichen Schritte sich für die Klient*innen und Patient*innen „gut anfühlen“, um in ihrem Alltag auf Dauer umgesetzt zu werden.

Sinnvoll ist es daher, die verschiedenen Bereiche der Lebensqualität (emotionale, körperliche, erkrankungs- und auch diätbezogene Lebensqualität) zu berücksichtigen. Diese subjektiven Kriterien schließen ein, dass Verbote bestimmter Lebensmittel und Ernährungsempfehlungen, die zu Heißhunger führen sowie weitere negative Erfahrungen vermieden werden sollten. Stattdessen sollten Sättigung und Sattheit, Vorlieben, Abneigungen, Esshistorie sowie Ziele und Wünsche der Ratsuchenden in den Fokus gerückt werden.

Im erweiterten Sinne kann auch die gesteigerte Selbstwirksamkeit die Lebensqualität unterstützen. Meiner Erfahrung nach ist es ein entscheidender Moment in der Beratungssituation, wenn Ratsuchende erkennen, dass sie mit den persönlichen Empfehlungen die eigene Gesundheit in die Hand nehmen können.

Essprotokoll

Für uns Ernährungsfachkräfte ist es ein klassisches Tool, mit dem üblicherweise protokolliert wird, was in welcher Menge gegessen wird. Es dient dem Kennenlernen unseres Gegenüber. Lebensstil und Probleme im Essverhalten sind dadurch erkennbar aber auch Aspekte der Mahlzeitenfrequenz und -dauer, die Esssituation, die Gedanken vor, während, nach dem Essen, die Wahrnehmung von Hunger und Sättigung, sowie der Einfluss von Schlaf (in Qualität und Quantität), Stress und körperlicher Aktivität.

So können neben dem Blick auf die Nährstoffzufuhr (mithilfe softwarebasierter Analyse des Protokolls) auch weitere das Essen und die Ernährung individuell beeinflussende Faktoren erkannt und zur Maßnahmenplanung herangezogen werden, um den Menschen ganzheitlich physiologisch und psychologisch zu beraten.

Blutwerte

Ebenso wie das Essprotokoll können auch die Blutwerte in Prävention und Therapie berücksichtigt werden. Sie lassen sich einerseits zur Risikoabschätzung bei phänotypisch unauffälligen Klient*innen und Patient*innen einsetzen, andererseits zur Verlaufskontrolle innerhalb der Ernährungstherapie. Dies ist von besonderer Bedeutung, weil viele Stoffwechselparameter asymptomatisch und damit von den Klient*innen und Patient*innen in der Anamnese wie auch in laufender Therapie nicht geäußert werden, gleichzeitig aber ein relevanter Faktor für den Erfolg einer Ernährungstherapie sein können (z. B. zur Bestimmung der Insulinresistenz oder Fatty-Liver-Index).
Da eine Verbesserung der Blutwerte auch ohne Gewichtsreduktion möglich ist, kann dies als Motivation für Patient*innen dienen, deren Gewicht stagniert.

Bioelektrische Impedanzanalyse (BIA)

Für zahlreiche Klient*innen und Patient*innen sind die Adipositas (Vermehrung des Körperfettgewebes), Mangelernährung und Sarkopenie (Verlust von Muskelgewebe) sowie die adipöse Sarkopenie aufgrund steigender Prävalenz Ausgangslagen in der Ernährungsberatung und -therapie. Mit der BIA haben wir Ernährungsfachkräfte die Möglichkeit, innerhalb der Ernährungsanamnese die Fett- und Muskelmasse in Menge und Lage (mit besonderem Blick auf das viszerale Fettgewebe) quantitativ und qualitativ zu bestimmen und das Fett-Muskel-Verhältnis sowie Wasserverschiebungen in den extrazellulären Raum zu erkennen.

Dieses ist von besonderer Bedeutung, da auf Basis von Körpergewicht und Body-Mass-Index allein keine aussagekräftigen Veränderungen von Fett- und Muskelmasse getroffen werden können. Diese sind jedoch entscheidend für die eingesetzten individuellen Ernährungsempfehlungen sowie den Therapieverlauf.

Eine Gewichtszu- oder -abnahme kann auf Basis einer Zu- oder Abnahme von Fett- oder Muskelgewebe basieren, was von außen aber nicht erkennbar ist. Ebenso kann ein Gewichtserhalt auf dem Umbau von Körpergewebe beruhen. Die Erfahrung in der Praxis ist, dass der Gewichtserhalt von vielen Ratsuchenden zunächst als Misserfolg eingeordnet wird, bei genauerer Betrachtung jedoch auf Basis von Muskelaufbau und Fettabbau beruht. Für die Adhärenz, die Selbstwirksamkeit, die langfristige Motivation und damit den Beratungs- und Therapieerfolg ist dieses von besonderer Bedeutung.

 

Ich stimme dem Mediziner Dr. med. Hardy Walle zu: „Die BIA ist das EKG der Ernährungsmedizin“ und damit ebenso wie die zuvor genannten klassischen Tools nicht mehr wegzudenken.

Fazit.

Auf Basis der vier Säulen decken wir entscheidende Bereich für die persönliche und personalisierte Ernährungsberatung und -therapie ab, die die Ess- und Gesundheitssituation sowie den Alltag der Klient*innen und Patient*innen psychisch und physisch berücksichtigen und verbessern können.

Last but not least ist es jedoch eine Win-Win-Situation, denn auch für uns Ernährungsfachkräfte wird der Arbeitsalltag auf ein zufriedenstellendes Level gehoben, die auch die Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen (zuweisenden Ärzten) möglich macht.

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Verfasser*in: Dr. Heike Niemeier

Dr. Heike Niemeier ist selbständige Ökotrophologin mit eigener Praxis in Hamburg. Zusammen mit Ihrem Team „essenZ“ bietet sie Ernährungsberatung und -therapie für Erwachsene und Kinder mit deren Familien an. In Unternehmen (BGF) führt sie Workshops, Vorträge, Kochevents und BIA-Messungen durch.